18. November 2016 | 10:11 Uhr
50. Mission
Franzose bricht zur "Weltraum-WG" ISS auf
Putin will Ergebnisse - Positive Signale von der Industrie.
Wie ein dumpfes Klopfen schlägt die Vibration der Rakete auf die Brust. Mit der Kraft von 20 Millionen PS schießt die Sojus vom russischen Kosmodrom Baikonur in den Nachthimmel über der kasachischen Steppe. Nach wenigen Minuten schrumpft der Feuerschweif zu einem roten Punkt und verschwindet. Die Kapsel nimmt Kurs auf die Internationale Raumstation (ISS).
Mit an Bord: Frankreichs neuer Star Thomas Pesquet. Pariser Medien feiern den 38-Jährigen als Idealbesetzung mit Bilderbuchlaufbahn als Ingenieur und Pilot. Präsident Francois Hollande preist ihn als Frankreichs "besten Botschafter im All". Er habe Pesquet eine Kopie des Pariser Klimaabkommens überreicht, sagte Hollande und dankte demonstrativ "allen Pionieren" wie Pesquet, die "das Weltraum-Abenteuer" möglich machten. Branchenkenner schätzen, dass der Hype in Frankreich größere Ausmaße annehmen könnte als 2014 bei Alexander Gerst, der in Deutschland zu einer Art Popstar wurde.
Wenn die Sojus MS-03 an diesem Sonntag an der ISS andockt, ist die 50. Mission auf dem Außenposten der Menschheit komplett. Seit 2000 düst die Hightech-Röhre dauerhaft bemannt in rund 400 Kilometern Entfernung um die Erde. Seitdem hat sie sich zu einem Forschungslabor und zur "Weltraum-WG" mit wechselnden Bewohnern entwickelt.
Doch nach 16 Jahren und 50 Besatzungen kommen vor allem aus Moskau Rufe, das Konzept zu überdenken. Ab 2017 plant Russland - neben den USA der Hauptträger der ISS -, sein Engagement zurückzufahren und lediglich zwei statt drei Besatzungsmitglieder zu stellen. Die Nutzung des mobilen Forschungslabors ist vorerst bis 2024 zugesagt.
Kremlchef Wladimir Putin macht klar: Er will Ergebnisse. Welche Erfindungen wurden in den vergangenen Jahren patentiert, und wie profitieren Wirtschaft und Grundlagenforschung von der ISS? "Das russische ISS-Segment sollte eine große Rendite liefern", fordert er.
Kasachische Steppe ist einziger ISS-Abflugpunkt
Baikonur - Wiege der bemannten Raumfahrt mitten in der kargen kasachischen Steppe - ist zentral für die Nutzung der ISS. Seit die USA 2011 ihr Shuttle-Programm eingestellt haben, können nur von hier aus Menschen zur ISS fliegen. Stolz präsentiert das Museum in der 1955 heimlich aus dem Sand gestampften Stadt ein Modell des Labors.
Doch in der russischen Raumfahrt ist vieles im Umbruch. Moskau hat seine Mittel für die Erkundung des Alls in diesem Frühjahr wegen einer schweren Rezession um knapp ein Drittel gekürzt. Im April startete die erste Rakete vom neuen Kosmodrom Wostotschny im Fernen Osten Russlands. Die Angst geht um in Baikonur, dass sich die Aktivität rasch dorthin verlagern und die Stadt veröden könnte.
Positive Signale kommen indes aus der Industrie. Eine Verlängerung für die ISS bis 2028 sei im Gespräch, sagt Wladimir Solnzew, Chef des größten russischen Raumfahrtkonzerns Energija.
Anders als Russland und die USA hat die Europäische Raumfahrtagentur ESA noch nicht zugesagt, bis 2024 an Bord der ISS zu bleiben. Doch Programmleiter Bernardo Patti ist gewiss, dass die ESA-Mitglieder bei der Ministerkonferenz Anfang Dezember zustimmen werden. "Wir haben positive Signale erhalten", sagt er. "Anschließend entwickeln wir ein Szenario für die Zeit nach 2024, was nicht zwingend ein Szenario "post-ISS" sein muss."
Längst denkt die Branche auch über eine Partnerschaft mit privaten Firmen nach. "Dann könnte die ISS eine industrielle Plattform werden, die von einem Pool an Unternehmen verwaltet wird. Der Staat würde zum Kunden", erklärt Patti. Auch Lionel Suchet von Frankreichs Raumfahrtagentur CNES sieht die Zukunft im Privatsektor. "Das wird die Geschwindigkeit der Entwicklungen enorm steigern", meint er.
Die ISS kostet die ESA jährlich 300 Millionen Euro, sagt Patti. Viel Geld, das sinnvoller verwendet werden könnte, als Astronauten ins All zu schießen, die die Medien zu Popstars stilisieren, sagen Kritiker. Thomas Pesquet sieht das anders. "Wir sind nicht nur auf der ISS, um Experimente zu machen, sondern auch, um Langzeitflüge vorzubereiten", sagt er. "Früher oder später wird ein Mensch zum Mars fliegen."